Die Stiftung Neue Familie im Jahre 2019

Bereits seit zwanzig Jahren arbeiten wir in Bereichen, die mit Thema “Drogenkonsum“ und ihren Nachfolgen verbunden sind.

Eins unseren wichtigsten Projekten ist Schadensbegrenzung bei HIV-Risikogruppen,  das sogenannte „Harm Reduction Program“. Diese beinhaltet Spritzenwechsel bei Drogensüchtigen, Ersatztherapie mit Methadon und Buprenorphin,  Straßenarbeit  sowie Arbeit mit SexarbeiterInnen und Homosexuellen.

Das vergangene Jahr 2019 war für uns sehr turbulent. 

Wir erteilten Direkthilfe an 2‘289 Drogenkonsumenten, an 483  Sexarbeiterinnen und an 931  Homosexuellen.

Im vergangenen Jahr arbeiteten wir nicht ausschließlich in der Stadt Czernowitz, sondern auch vermehrt in der Umgebung. Dreimal in der Woche besuchten wir kleinere Orte in der Provinz, in welchen das Wort „Drogen“ in der Öffentlichkeit auch heute meist noch Tabu ist, doch entsprechende Problem existiert überall, auch auf dem Lande! Es ist unser großes Anliegen, auch auf dem Lande mit der Bevölkerung über diese Thematik und deren Probleme offen zu reden, die Folgen des Suchtmittelkonsums zu informieren und aufzuklären.. 

Nachstehend einige Photos über unsere Arbeit auf den Straßen sowie bei verschiedenen unserer Veranstaltungen.

Ein Teil unserer KlientInnen möchte entweder ihre Dosis reduzieren resp. kontrollieren oder versuchen, in Zukunft überhaupt ein drogenfreies Leben zu führen.  Für solche Menschen arbeitet unser Tagesrehabilitationszentrum. Wir haben unser Zentrum in vier Richtungen umstrukturiert: je eine Abteilung für Minderjährige (10-19 Jahre alt), Erwachsene, Eltern von süchtigen Kinder und Kinder von süchtigen Eltern (4-16 Jahre alt). Insgesamt sind 382 KlientInnen  im Jahr 2019 in unserem Rehabilitationsprogramm integriert. 

Für Minderjährige und Erwachsenen führten wir 178 therapeutischen Gruppen und 1807 individuelle Einheiten, zusätzlich 235 live- und  online- Beratungen und zeigten 25 Filme mit anschließender Diskussion. Der Erfolg war, dass acht dieser KlientInnen beschlossen, in ein Methadon-Programm einzutreten. Für weitere 34 Personen konnten wir den Aufenthalt in einem stationären Rehabilitationszentrum organisieren. 

Rehabilitationsprogramm
Elterngruppe bei der Arbeit
Rehabilitationsprogramm
Sandtherapie hilft, die Gegenwart zu bearbeiten und die Zukunft zu planen.

Die Absolventen unserer Rehabilitationsprogramm stehen im engen Kontakt untereinander als auch mit unserem Zentrum. Sie nehmen auch oft als „Gäste“ bei offenen Gruppen mit heutigen KlientInnen des Tagesrehabilitationszentrum teil. Elf Personen haben wir geholfen, ein Job zu finden. Allerdings haben bisher nicht alle Besucher unseres Zentrums das gesamte Programm beenden, da es entweder für manche zu kompliziert oder sie ihr Rehabilitationsprogramm noch nicht abgeschlossen haben. In jedem Fall aber wissen sie, dass die Türen für sie bei uns immer offen sind.

Kinderhilfsprojekt: Die Abteilung für Kinder und Jugendliche aus Familien unserer Klientinnen  arbeitete wie bisher jeden Samstag in den Räumlichkeiten  der Schule Nr.30. Im Jahr 2019 setzten unsere Kinder und Jugendlichen ihr Studium der mentalen Mathematik fort. Indem es beide Gehirnhälften in Gang setzt, fördert die mentale Mathematik das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit und beseitigt Minderwertigkeitskomplexe, unter denen alle Kinder unserer Klienten leiden. 

Wir sind allen sehr dankbar, die unsere Anfrage unterstützt und diesen Kurs finanziert haben. Das Programm umfasst auch einen Schnelllesekurs.


Ein wichtiges Ereignis im Leben unseres Tageszentrums ist die Durchführung des Sommercamp. Alle Teilnehmer des Reha-Programms warten und freuen sich stets darauf. Vom 22.-26. August hat die Stiftung “Neue Familie” für 52 Klientinnen, darunter 29 Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 18 Jahre ein Camp in den Karpaten durchgeführt. Die Gruppe wurde von sechs Mitarbeitern  begleitet. 

Bewusst hatten wir in diesem Jahr  Familien, welche zum ersten Mal das Camp besuchten, mit Familien, die schon früher an ähnlichem Sommercamps teilnahmen, gemischt. Mit  Zufriedenheit konnten wir beobachten, wie groß der Unterschied im Benehmen der Eltern und Kindern in diesen zwei Gruppen war. Eltern, die schon seit einer Zeit unserer Stiftung besuchen und an unserem Camp teilnehmen, waren viel lockerer, geduldiger, positiver und haben viel freie Zeit mit anderen Kindern verbracht. Unsere „neuen„ KlientInnen waren voll Ungeduld mit ihren Kindern, versuchten ihre Kinder nach Möglichkeit unseren Mitarbeitern zu überlassen; sie hatten einen starken Drang nach Freiheit und hatten ihre Kinder oft allein in Zimmern eingesperrt, um die Freiheit von ihnen zu genießen. 

Das Ziel des Sommercamps war unter einer vernünftigen Tagesstruktur – ohne zusätzliche stimulierende synthetische Mittel – im Kreis der Gemeinschaft und der Familie und gleichgesinnten Freunden die Freiheit sinnvoll zu gestalten und zu verbringen. 

Das Programm war voll. Der Tag begann mit Morgengymnastik und endete mit einer Zusammenfassung der Tagesaktivitäten am Lagerfeuer. Den Kindern wurde dort auch Milch und Honig verteilt, den Erwachsenen beruhigender Kräutertee. 

Verschiedene Aktivitäten gehörten zu unserem Tagesprogramm, wie z.B.: 

·        «Komfort und Sicherheit» - Therapie für Erwachsene

·        «Mein Sucht» -Therapie für Erwachsene

·        «Bild von meinen Emotionen» - Arbeit mit Steinen und Farben für Minderjährigen. Sie haben zuerst selbst Steine gesucht, diese sauber gemacht und anschließend bemalt. 

Auch die Kinder und Jugendliche haben am Abend eine Zusammenfassung ihrer Tagesaktivitäten erstellt und die Arbeit für den nächsten Tag  geplant. Minderjährigen haben dabei therapeutischen Trickfilme über Basisemotionen «Emoji» geschaut und einzelne Szenen in Technik „Forum-Theater“  bearbeitet.  

Die Gruppe der Minderjährigen haben eine Installation in Form eines Heuhaufens gemacht, geschmückt von  Zetteln mit Dankbarkeitsworten als Fortsetzung der Gruppenarbeit zu Thema “Dankbarkeit”.

Sämtliche Teilnehmer haben das ethnografische Dorfmuseum besucht und an zwei Gruppen Wanderungen, in Begleitung von Dorfeinwohner durch eine wunderschöne Gegend, teilgenommen.

Die Erwachsenen  haben zusätzlich  individuelle Einheiten bekommen.

Die Tage während des Camps waren für unsere KlientInnen sehr intensiv, aber auch sehr wichtig und befriedigend. Eine cosüchtige  Mutter hatte uns nach Beendigung des Camps geschrieben: “An diesen Tagen lernte ich lieben …“!


Meine Arbeit im Tourismus eröffnete mir viele wichtige und interessante Dinge und ich möchte dieses Wissen möglichst vielen Menschen weitergeben. So haben wir Ende 2019 die Kunden unserer Stiftung in die reiche Geschichte und das tragische Schicksal der jüdischen Bevölkerung unserer Stadt und Region eingeführt. Wir wollten mit diesem Projekt 40 Personen erreichen, doch mehr als 60 Personen hatten sich für dieses Projekt mit dem Namen „Prophylaxe  von Konflikten auf Grund der Veränderungen in Kultur, der Normen  des menschlichen Zusammenlebens und der Nationalitäten“. Zwei Monate lang sprachen wir mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen über die Ursachen von Konflikten, wie man sie verhindern und lösen kann. 

Zu Beginn des Projekts besuchten alle Teilnehmer das Jüdische Museum, wo sie sich mit dem gesamten Verlauf der Geschichte der Juden von Bukowina auseinandersetzten. 

Einer der Teilnehmer, ein 17-jähriger Junge namens  Dima, erzählte von seinen Eindrücken: „Ich bin Rumäne und gehöre auch einer nationalen Minderheit an.  Dank diesem Projekt hat mir meine Mutter erzählt, dass mein Großvater Jude war. Ich habe ihn sehr geliebt. Aber erst jetzt wurde mir die Tragödie seiner Familie bewusst. Ich wusste überhaupt nichts über die Geschichte dieses Volkes und über seine Traditionen. Diese Treffen und das Gespräche haben in mir eine Menge verändert. Eine neue Welt hat sich für mich eröffnet, und ich bin von gemischten Gefühlen überwältigt.“


Ebenfalls besuchten die Teilnehmer im Rahmen dieses Projekts den Workshop von Oleg Ljubkiwskij, einem Künstler und Ehrenbürger der Stadt. Das Thema seiner Kunstwerke ist unsere Stadt Czernowitz–„Jerusalem am  Pruth".

Der Künstler illustriert nicht nur Bücher, sondern hat auch selbst mehrere Bücher geschrieben.

Die jüngsten Teilnehmer des Programms erhalten seine signierten Bücher als Geschenk.

 

Die Begegnung und die Möglichkeit, mit einer solchen Person zu sprechen, hat bei allen eine unauslöschliche Spur hinterlassen. Für viele war es die erste Begegnung mit der Kunst.

Bücher als Geschenk
Bücher als Geschenk

Das Programm umfasste auch zwei Trainingseinheiten zu Konflikt und Toleranz. Schließlich ist es das, was Menschen in jedem Alter begegnet. Und die Art und Weise, wie Konflikte gelöst werden, wirkt sich auf viele Aspekte unseres Lebens aus. 

Die 11-jährige Anastasia erzählte nach Beendigung des Projekts, dass sie einen Konflikt mit einer Klassenkameradin hatte und lange Zeit nicht mit ihr kommunizieren konnte. Nach dem Training kam diese selbst auf sie zu. Was für eine Überraschung war es für mich, dass sie nichts von dem (meinem) Konflikt wusste. Denn können Sie sich vorstellen, sagte mir Anastasia, der Konflikt war nur in meinem Kopf!

Die zweimonatige Arbeit im Rahmen über die Geschichte der Juden in unserer Stadt, endete mit einem gemeinsamen Ausflug in die Winterkarpaten in das Dorf Ispas, wo die überlebenden jüdischen Dorfbewohner aus Dankbarkeit gegenüber ihren Mitbewohnern, die 1941 das Leben von Mitgliedern aller 16 jüdischen Familien retteten, ein Denkmal errichteten. Unterwegs gab es einen Halt auf dem jüdischen Friedhof in Vizhniz und auf einem Schwanensee im Czortoria –dem Geburtsort des berühmten ukrainischen Schauspieler und Regisseur Ivan Mykolaychuk. Die beiden Filme "Weißer Vogel mit schwarzem Fleck" und "Schatten der vergessenen Ahnen" erhielten viele internationale Preise und sind auch auf Deutsch zu sehen. 

2019 setzten wir unsere Präventionsarbeit in Schulen fort, sowohl in Grundschulen als auch mit Jugendlichen der oberen Klassen. Das Hauptziel unseres Programms besteht darin, den Kindern die richtigen Entscheidungen zu vermitteln, mit den schädlichen Gewohnheiten umzugehen, um ihre Gesundheit zu bewahren. Die wohl bekannteste Definition von Gesundheit wurde durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschrieben: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“.

In unserer Arbeit betonen wir sowohl die geistige wie auch die psychische Gesundheit. Für Grundschulen haben wir das Programm selbst ausgearbeitet und im Jugendbereich benutzen wir das Programm der Stiftung "Brot für die Welt" unserer deutschen Sponsoren.

Aufgrund der Statistik von UNICEF hatten 2011 in der Ukraine 8,4 % Mädchen und 21,2 % Jungs bereits Erfahrung mit Drogenkonsum und 2019 zeigt dieselbe Statistik bei Mädchen einen Anteil von 18,3% und bei Jungs 16,6%. 

Diese Entwicklung ist zweifellos auch nicht zuletzt den bereits sechsjährigen Kriegsereignisse im Osten der Ukraine zurückzuführen. Diese Situation ist auch bemerkbar in unserer alltäglichen Arbeit. Diese traurige Situation hat uns gezwungen, die Themenschwerpunkte unserer Arbeit in den Schulen zu erweitern und mit Teenagern Lektionen über Gewalt, Gadgets und Gespräche über Sexualität einzuführen.

Dieses erweiterte Programm wird in meisten Schulen der Stadt Czernowitz durchgeführt. Klassenlehrer als auch die meisten Eltern sind von diesem Programm begeistert und freuen sich jeweils immer auf die nächsten Treffen. Unser schulbasiertes Programm hilft Schulkindern nicht nur den Wert von Gesundheit zu verstehen, sondern lehrt sie auch, mit Mutlosigkeit, Wut, Leidenschaft, Depressionen umzugehen und mit Stress klarzukommen. 

Die langjährige Arbeit unserer Stiftung hat deutlich gemacht, wie wichtig es für unsere Kunden ist, ihre Gefühle und Emotionen zu verstehen.  Die Fähigkeit, sie anzuerkennen, ist nicht leicht, was oft zu Protest und Abneigung führt, aber die Ergebnisse sind offensichtlich. Deshalb sprechen wir in unserer präventiven Arbeit mit Kindern und Jugendlichen über Gefühle und vor allem über Emotionen. Mit unserem Programm lernen die Schulkinder, die eigenen Gefühle und die der anderen besser wahrzunehmen und zu deuten, ihre Stimmungen und Bedürfnisse zu verstehen und zu akzeptieren.

ein kleines Video über unsere Arbeit in den Schulen

Jeder weiß, was IQ ist, aber nicht jeder denkt über die Rolle der EQ, der „emotionalen Intelligenz“ nach. Emotionen spielen eine weit größere Rolle für harmonische Beziehungen im Familienkreis  und in Gesellschaft, als allgemein angenommen wird. In unserer Arbeit helfen wir den Jugendlichen ihre Emotionen zu erkennen und diese zu bewältigen und damit auch ihre Gesundheit zu verbessern.


Im Jahr 2016 wurde auf unsere Initiative die „Drogenkoordination Czernowitz“ in Czernowitz gegründet, deren Arbeit wir seit dem ersten Tag ihres Bestehens auch im Jahr 2019 ständig aktiviert haben. 

 

Mit Unterstützung des Stadtmagistrats Wien organisierten wir ein zweitägiges Seminar für die Mitglieder der Drogenkoordination Czernowitz, an dem unsere österreichischen Kollegen, Psychologen und Mitglieder der Drogenkoordination Wien - Dr.Mag.Ewald Hoeld und Mag. Silvia Franke teilgenommen haben.

Dieses Seminar war für die Teilnehmer sehr wichtig und wertvoll. Sie erfuhren aus erster Hand von den weltweiten Erfahrungen auf diesem Gebiet und erweiterten ihr Wissen. Auch die informelle Kommunikation in den Pausen war für alle sehr nützlich.  Und die Autorität unserer Organisation wuchs in ihren Augen.

Das vergangene Jahr 2019 war ein schweres, aber dennoch äußerst interessantes und für unsere Mitarbeiter ein erfolgreiches Jahr, in dem wir vielen Menschen in schweren Situationen helfen konnten. Ohne unser fachkundiges, engagiertes und hochmotiviertes Team wäre dies alles nicht möglich. 

Aber auch ohne Sie, liebe Freunde, wäre unsere wichtige Arbeit und unser Erfolg unvorstellbar. 

Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle wie immer allen Institutionen und privaten Personen, die unsere Arbeit bereits während vielen Jahren finanziell unterstützen. Wir freuen uns auf weitere Jahre aktiver Zusammenarbeit.

 

Einige von Ihnen haben uns 2019 besucht. Jeder von Ihnen ist herzlich eingeladen auch zu kommen. Und wenn Sie uns wirklich nicht besuchen können, wären wir auch glücklich schriftlich oder telefonisch von Ihnen zu hören.

 

 

Wir wünschen allen feste Gesundheit

Mit Dankbarkeit

 

Ihre Tetyana Berezhna, Präsidentin der Stiftung “Neue Familie”